Wirtschaftsförderung hat jetzt höchste Prioriät

Professor Lambert T. Koch ist Wirtschaftswissenschaftler und Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Von 2008 bis 2022 war er Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Ein Gespräch mit ihm, warum Wirtschaftsförderung jetzt dringend aus ihrem Schattendasein kommen und zur Querschnitt- und Pflichtaufgabe in Kreisen und Kommunen werden muss.

Ein Argument gegen Wirtschaftsförderung ist oft: Die Unternehmen können sich selbst helfen. Stimmt das?
Nein, das Argument ist so nicht richtig. Kommunale Wirtschaftsförderung ist nicht einfach nur ein Babysitting für Unternehmen, sondern reicht weit darüber hinaus. Sie stellt ein zentrales Bindeglied zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und den Bedarfen privater Wirtschaftseinheiten, Unternehmen und Arbeitnehmern, dar. Indem sie auf beiden Seiten Bedarfe aufdeckt und passende Akteure zusammenbringt, schafft sie die Voraussetzung dafür, dass wichtige Entwicklungsprozesse in Gang kommen, Cluster und Netzwerke entstehen und sich die Standortqualität in Sachen Wohnen, Leben und Arbeiten erhöht. Dies wiederum steigert die Attraktivität und Reputation einer Region. Weitere Unternehmen siedeln sich an, Familien ziehen zu und Bildungsakteure entwickeln zusätzliche Angebote.

Inwieweit arbeiten Standorte Ihrer Erfahrung nach mit genauen Kennzahlenanalysen bzgl. Wertschöpfung einzelner Wirtschaftsbereiche?
Leider ist die Datenbasis kommunaler Wirtschaftsförderungen vielerorts ausbaufähig, um es höflich zu sagen. In der Tendenz gilt, dort wo man die überragende Bedeutung dieser Funktion erkannt hat, sitzen dann meist auch Profis, die wissen, dass der Erfolg des eigenen Tuns unabdingbar damit zusammenhängt, auf der Grundlage einschlägiger Kompetenzen und belastbarer empirischer Daten zu agieren.

Wieso sind Ihrer Meinung nach Wirtschaftsförderungen oft „One Man oder Woman Shows“ im Gegensatz zum Tourismusmarketing, das oft mit viel mehr Geld unterstützt wird?
Das hängt damit zusammen, dass man die gerade beschriebene überragende Bedeutung von Wirtschaftsförderung nicht richtig verstanden hat. Oft glauben die Verantwortlichen irrtümlicherweise: „Den Unternehmen geht’s doch gut, warum sollen wir die jetzt auch noch fördern“. Richtig verstandene Wirtschaftsförderung schafft aber überhaupt erst die Voraussetzungen dafür, dass Unternehmen, Kompetenzen und Köpfe in die Region kommen und dort bleiben. Erst ein solch proaktives Operieren generiert nachhaltig Arbeitsplätze, Kaufkraft und damit Wohlstand.

Auch Tourismus baut auf leistungsfähigen Betrieben auf. Sehen Sie, dass deren Entwicklung bei Investitionen, Förderungen und Qualitätsverbesserungen durch die Tourismusorganisationen professionell unterstützt wird oder muss hier Wirtschaftsförderung im Vergleich zu reinem Tourismusmarketing stärker ins Bewusstsein treten?
Wirtschaftsförderung erfordert nicht nur die Integration aller Branchenperspektiven. Zeitgemäß ausgelegt funktioniert sie auch nur, wenn alle regionalen Förderfunktionen integriert werden. Dazu gehören vor allem die verschiedenen Varianten des Standortmarketings, der Öffentlichkeitsarbeit, der Stadtentwicklung und der Fördermittelakquise. Aus dieser Sicht ist es dann eher eine Frage des eigenen Leitbildes und spezifischer Regionalstrukturen, wie wichtig einzelne Facetten wie Tourismus-, Kultur- oder Sportförderung in der Gesamtbetrachtung sind.

Wirtschaftsförderung wird momentan eher in einem engen Rahmen gesehen und nicht mit allgemeinen Standortbedingungen für Unternehmen zusammengedacht, die z.B. in Servicestellen wie dem Bauamt liegen oder im Zuständigkeitsbereich einer Kreis- oder Stadtentwicklung sowie Öffentlichkeitsarbeit. Wie gelingt es, Wirtschaftsförderung als strategische Querschnittaufgabe zu etablieren? Muss Wirtschaftsförderung zum Beispiel genau wie Daseinsvorsorge eine kommunale Pflichtaufgabe sein?
Ich denke, aus dem was ich gesagt habe, geht hervor, dass Wirtschaftsförderung höchste Priorität haben muss. Der Impuls, die verschiedenen genannten Funktionen zu integrieren und dafür die richtige Governance zu etablieren, kann nur von ganz oben kommen. Also von der Stadtspitze oder, im Falle eines Verbundes mehrerer Kommunen, von deren Verantwortlichen. Betrachten wir das Ganze aus der Perspektive des Standorts Deutschland, der in einem immer härter werdenden globalen Wettbewerb steht, müsste Wirtschaftsförderung in der Tat eigentlich zur globalen Pflichtaufgabe werden. Ich halte es für riskant, die Bedeutung, die dieser Querschnittsfunktion zuerkannt wird, allein von den Kompetenzen und Einsichten zufällig verantwortlicher Politiker abhängig zu machen.

Wirtschaftsförderung ist oft mit dem Standortmarketing betraut. Muss dieses Ihrer Meinung nach spezifischer werden, weg von einzigartiger Vielfalt, breitem Branchenmix und verkehrsgünstiger Lage (so vermarkten sich viele Standorte nahezu identisch)?
Regionen werden auf Dauer nur dann überregional wahrgenommen und damit im Standortwettbewerb Erfolg haben, wenn sie auf Basis ihrer spezifischen Stärken ein unterscheidbares Profil entwickeln und es international vermarkten.

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