Fokus statt Vielfalt – Warum sich Standorte damit so schwer tun

Wieso tun sich Standorte im Gegensatz zu Unternehmen mit einem Fokus auf ihre Stärken so schwer? Was sind die Konsequenzen der „einzigartigen Vielfalt“? Standortmarketing-Expertin Doris Goossens und LennardtundBirner-Geschäftsführer Dr. Thomas Birner über die Herausforderung, eine Standortmarke konsequent zu führen.

Welche Stärken hat ein Standort? Wie will er sich als Standortmarke im Wettbewerb abgrenzen? Wir erarbeiten diese Fragen im Rahmen unserer Strategien für Wirtschaftsstandorte.

Wieso sollte ein Standort sich auf seine wirtschaftlichen Stärken fokussieren?
Weil sein Wohlstand davon abhängt. Arbeitsplätze, Steuern, Handlungsmöglichkeiten der Kommune – das alles hängt an einer starken Wirtschaft. Im Standortmarketing heben sich Standorte von 1000en anderen beweisbar ab, wenn sie ihre wirtschaftlichen Stärken beweisbar kommunizieren. Das macht sie für ihre Zielgruppen interessant.

Klingt logisch.
Ja. Das Problem ist jedoch, dass es politisch schwerfällt, Fokus zuzulassen. Denn der politische Auftrag lautet, alle zu bedienen. Wer ehrlich ist weiß, dass das aufgrund der Kapazitäten einer Wirtschaftsförderung gar nicht möglich ist und nie geschieht. Es geschieht aber leider oft Folgendes: Die Wirtschaftsförderung unterstützt nur die Unternehmen aktiv, die sich bei ihr melden oder im Fokus der Politik sind. Oft wird in Tourismus oder Einzelhandel viel Geld und Zeit investiert. Gewerbeflächen werden nach allgemeinen Kriterien vergeben, wenn es überhaupt Vergabekriterien gibt. Im Standortmarketing lesen Sie Sätze wie „Wir sind glücklich über unsere Branchenvielfalt“ oder „Unsere Unternehmen sind Champions von Handwerk bis High Tech“. Mit diesen Allgemeinplätzen kann niemand etwas anfangen.

Wie geht es besser?
Durch eine Wirtschafts-Positionierung des Standorts. Für welche starken Wertschöpfungsketten steht er? Das sind keine einzelnen Betriebe, sondern ganze Betriebsketten mit Zulieferern und Kunden. Bei unseren Wertschöpfungsketten-Analysen stellen wir immer fest, dass Standorte sehr spezifische wirtschaftliche Stärken haben. Diese haben sich meistens über Jahre entwickelt und weiterentwickelt. Schauen Sie die Stadt Essen an. Früher stand sie für Kohle, heute ist sie immer noch die Energiehauptstadt Europas, derzeit mit Think Tanks zu Wasserstoff. In 100 Jahren wird es wohl immer noch Energie sein, vielleicht jedoch nicht mehr Wasserstoff. Von einer starken Wertschöpfungskette profitieren auch Zulieferer wie Werbeagenturen, welche die Unternehmen vermarkten, oder Handwerker, die für sie bauen. Wenn Sie identifiziert haben, welche Wertschöpfungsketten an Ihrem Standort stark sind, können Sie die Betriebe gezielt unterstützen, zum Beispiel durch Innovationsnetzwerke, Förderung, Gründeraktivitäten, gute Rahmenbedingungen wie zügige Genehmigungsverfahren. Sie können die Unternehmensgeschichten, die Netzwerke, die Gründeraktivitäten vermarkten. Tun Sie das konsequent, wird Ihr Standort für dieses Wirtschaftsthema stehen. Sie sind dann nicht mehr in der Vielfalt unterwegs, die keinen interessiert.

Was ist mit den anderen Betrieben am Standort? Werden sie nicht mehr betreut und vermarket?
Jedes Unternehmen, das Unterstützung braucht, wird unterstützt. Dafür ist Wirtschaftsförderung da. Allerdings sollte jede gute Wirtschaftsförderung die Betriebe ihrer wichtigen Wertschöpfungsketten samt Themen kennen und sie regelmäßig besuchen. Sie muss herausfinden, wie sie gezielt unterstützen kann, zum Beispiel durch Förderprojekte, Kontakte mit Hochschulen etc. Es ist Augenwischerei, dass eine Wirtschaftsförderung die Kapazität hat, für jeden Betrieb und jede Branche eine solche proaktive Wirtschaftsförderung zu machen. Sie muss sich fokussieren – und zwar auf die wirtschaftlichen Stärken des Standorts. Wenn Sie helfen, diese weiterzuentwickeln, werden ALLE Unternehmen von dieser Stärke profitieren. Sinken Ihre starken Anteile, leiden auch die anderen Unternehmen darunter.

Warum baut man nicht einfach neue Stärken und Schwerpunkte auf und reduziert die Abhängigkeit von den aktuellen Schwerpunkten?
Viele Regionen versuchen, neue wirtschaftliche Schwerpunkte („Standbeine“) aufzubauen. Oft ist das mit sehr viel Investment über Förderprogramme usw verbunden. Dies kann am leichtesten gelingen, wenn bereits gute Ansätze da sind, zum Beispiel ein zweiter Bereich, der sich gut entwickelt, ein kleiner Bereich mit starken Wachstumspotentialen und Zukunftschancen. Hier lohnt es sich, im Sinne einer Diversifizierung stärkeres und gezieltes Engagement über die Wirtschaftsförderung einzusetzen, ohne die Hauptstärken zu vernachlässigen. Natürlich bedeutet dies dann auch mehr Aufwand. Aber Diversifizierung muss auch hier wieder zielspezifisch sein. Beliebigkeit führt nicht zu Diversifizierung. Hier muss das Vorgehen ebenso auf wirtschaftlichen Analysen aufbauen und nicht auf politischen Wünschen oder allgemeinen Trends. Denn diese versuchen alle anderen Standorte auch.

Und vermarket werden dann auch nur noch die Betriebe der starken Wertschöpfungsketten?
Standortmarketing ist nicht dafür da, einzelne Betriebe zu vermarkten. Das müssen die Betriebe selbst tun. Standortmarketing zeigt auf, worin ein Standort stark ist. Wenn man zu Alleinstellungsmerkmalen alle möglichen Themen hinzufügt, wird der Standort wieder beliebig. Neben der beschriebenen Wirtschaftsleistung hat ein Standort weitere Themen, mit denen er gegenüber Wettbewerbern punktet. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Familienfreundlichkeit. Sollte es hier starke Beispiele geben wie außergewöhnliche Kinderbetreuungsangebote, Vereinsförderung etc., dann wird das vermarktet. Und damit auch alle Unternehmen, die sich in diesem Thema hervortun, z.B. Homeoffice-Angebote schaffen, Betriebskindergärten bauen usw. Unternehmen, die allerdings auf keine der Standortstärken einzahlen, sollten im Standortmarketing auch nicht vorkommen, denn sie verwässern es. Diesen Fokus durchzuhalten ist die größte Herausforderung, vor der Wirtschaftsförderer:innen und Standortmarketingverantwortliche stehen.

Wie gelingt das?
Nur mit einer Strategie und einem Handlungsrahmen, sowohl für die Wirtschaftsförderung als auch für das Marketing. Er muss von den Entscheidungsträgern beschlossen werden, die Akteure müssen sich auf ihn berufen können.